Samstag, 20. August 2016

Flucht - Heimat - Flüchtling - Wurzeln

FLÜCHTLINGE

Dies ist auch mein Thema.

Meine Mutter, damals 22, ist mit mir im Prager Frühling im Zug mit einem Koffer aus der damaligen Tschechoslowakei nach Wien geflüchtet. An der Grenze wurden wir von Genossen Zollbeamten aus dem Zug gezogen - ich war nicht im Pass meiner Mutter verzeichnet. Sie wollten uns zurückschicken. In dem Moment tat meine Mutter etwas, für dass ich sie immer bewundert habe, sie hat ihren Charm eingesetzt und den "Obergenossen" den Obersten Zollbeamten herbestellt. Diesem hat sie mit AugenBlink - Blink erzählt, dass sie nur die Omi in Wien besuchen wollte ...
Ja, meine Urgroßmutter hat wirklich in Wien gewohnt, jedoch hatte meine Mutter nie vor in den Sozialistischen Staat zurückzukehren. Dies hat sie natürlich wohlweislich verschwiegen.
Der Obergenosse vom Zoll hat mit einer sonoren Stimme und einer milden Ermahnung den Weg in unsere Freiheit bewilligt. Meine Mutter sollte, sobald sie wieder zu Hause war, das Kind von den Genossen im Pass vermerken lassen. Charmant bedankte sich meine Mutter beim Zollchef, stieg mit mir wieder in den Zug. Als sich dieser wieder in Bewegung gesetzt hatte, fiel sie mit Bauchkrämpfen erst einmal um. Mitreisende Fahrgäste kümmerten sich angeblich um mich, den auch wenn ich knapp 2 Jahre alt war, muss sich wohl diese angespannte Situation in meinem Inneren eingespeichert haben.
Ich mochte eine ganz lange Zeit keine Bahnhöfe oder Zugfahrten, es war für mich nichts entspannendes, im Gegenteil es kroch immer wieder etwas "Merkwürdiges" in mir hoch.
 ... Dies liegt etliche Jahre in meiner Vergangenheit;  erst mit fast 40 Jahren erzählte mir meine Mutter von dieser Begebenheit.
Aber die Zugfahrt in die Freiheit, war nur die Spitze des Eisberges meiner unFREIwilligen Flucht. Ich hatte keine Mitspracherecht, und hätte ich es gehabt, hm., was wäre besser gewesen - in der Heimat bleiben? ohne Mutter, dann ohne Vater, aber im Schoß der Familie? Jedoch ohne Freiheit? In einem sozialistischen Staat? Oder in der FREIheit? In der vermeintlichen ? FLUCHT - ein Wort, aber da ist sooo vieles darin enthalten ...

Heute arbeite ich in einem Flüchtlingsheim. Für mich ist es unvorstellbar, wenn ich in die Augen sehe, dieser Menschen, und da ist es egal, ob es kleine Kinder sind, ob es Jugendliche sind oder ob es Erwachsene sind. Diese Menschen haben einen Weg von Traumen, von Abschieden, von Verlusten hinter sich und vor sich. sie haben Bilder gesehen, Situationen erlebt, die wir uns überhaupt nicht vorstellen können. Und dennoch wollen sie. Sie wollen lernen, sie wollen Musik machen, sie wollen singen, sie wollen tanzen, sie wollen lachen, Fußball spielen, gesund werden. FREI sein.
Die Kinder, die Jugendlichen, die Erwachsenen, die Alten.
Aber ich sehe nicht "den Flüchtling" - ich sehe den Menschen.
Die Ängste, die Träume, die Freude, die Dankbarkeit.
Heute habe ich mich um einen Jungen gekümmert, er ist so alt wie meine Tochter.
Er ist alleine hier, seine einzige Verbindung "nach Hause" ist sein Smartphone. Er spielt mit den anderen aus dem Heim gerne Fußball, da kann er sich auspowern, das macht Spaß. Wir mussten ihn zum Röntgen schicken, da seine Hand angeschwollen war, Verdacht auf Fraktur. Als wir ihn untersuchten, haben wir bemerkt, dass er sich geritzt hat. er hat sich geschämt, dafür. ...
Was hat dieser Junge erlebt ? Und jetzt?
Da ist immer diese Angst, die zack- emporkriecht und sich breitmacht im Kopf : "wie geht es weiter?"
Ich könnte ihm sagen, Du wirst es schaffen, das Heimweh wird besser. Aber es wird nicht verschwinden. Die Wurzeln sind so stark, die kann man nie kappen.

Eines Tages sahs ich in Prag in einem Wohnzimmmer eines Musikers und wartete mit der Ehefrau des Musikers auf meine Regisseurin, die sich mit dem Musiker im Tonstudio besprach.
Ich versuchte mit der fremden Frau "smalltalk" zu halten. Belanglose Fragen und Antworten. Plötzlich schaut sie mich an und sagt : " Also, was bist du ? Tschechin biste ja keine..."
Das andere habe ich nicht mehr gehört. Dieses "Tschechin biste ja keine." Hallte in meinem Kopf und wurde immer größer. Ja, was bin ich eigentlich? Ich bin keine Deutsche, - ich bin keine Tschechin. Und das tat weh, ein kleiner - feiner - tiefer Stich im Herzen und die Frage :"Was ist meine Wurzel?"
Und um so älter ich werde,  um so mehr sehne ich mich nach meinem Zu Hause, nach meinen Wurzeln.
Bei der Beerdigung meines einzigen Onkels in Tschechien, stand ich am Sarg. Die einzige Nichte, die er nicht aufwachsen sah, die er nur ab und zu zu Gesicht bekam, und selbst dann war die Zeit zu kurz sich wirklich aufeinander einzulassen. Ich stand in der Aussegnungshalle, meine Familie war da,  ich fühlte mich fremd, allein, mein Herz verspürte eine solche Schwere. Was wäre gewesen, wäre ich hier geblieben, hier in meiner Heimat, in meiner Familie? Mit meiner Sprache, meiner Kultur, meinem Essen, meiner Erde, meinen ? - es gibt dafür kein Wort - es ist dieses Gefühl, dieses Gefühl von zu Hause sein.
Ja, ich habe viel erreicht in meinem Leben, habe immer an mir gearbeitet, aber es bleibt eine Sehnsucht in mir, die ich nicht verstehen kann, nicht stillen kann. Sie kommt aus der Tiefe meines Herzens.
Vielleicht finde ich meinen Weg, vielleicht finde ich zu meinen Wurzeln.

Und ja, vielleicht werde ich wieder da hin zurückgehen, woher ich gekommen bin, bevor ich schlussendlich dahin zurückgehen werde, woher wir alle gekommen sind.
Bis dahin werde ich denen helfen, die auf der Suche sind, nach ihren Wurzeln, nach ihren Talenten und nach ihrer Essenz. Das bin auch ich.


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